Ich bin so wundervoll!
Es gibt sie noch, diese Kinder, deren Fotos in der Entbindungsstation nicht in die Mitte gepint werden, sondern eher an den Rand. Bei denen Eltern sich Sätze wie: „Die konnte schon mit xx Monaten laufen/sprechen/auf einem Bein hüpfen/mit Messer und Gabel essen/ohne Windel durchschlafen“ verkneifen. Es gibt sie halt, die Kinder, die nicht hochbegabt sind und auch nicht tiefbegabt, sondern einfach nur, na eben, nicht begabt. Aber was will man denen als Tante oder Onkel schenken? Was trotzdem wertschätzend und aufbauend ist und Mega-Selbstvertrauen aufbaut? Aber eben auch nichts, was Mühe macht oder Zuneigung verlangt oder persönliche Ansprache?
Erster Retter dieser richtig Ratlosen ist der amerikanische Autor Kobi Yamada, der sein Geld ursprünglich mit auf kleinen Karten gedruckten positiven Botschaften gemacht hat, also Glückskekse ohne Teig, mittlerweile zu finden auf jedem erdenklichen Nippes. Und in Bilderbüchern. Die tragen Titel wie Vielleicht – Eine Geschichte über die unendlich vielen Begabungen in jedem von uns, dass die Bestsellerliste Kinderbuch des Jahres 2020 angeführt hat. Oder Das Glück in dir: Wie du dein Leben lebendiger machst oder Was du machst ist gut. Allen Büchern gemein ist, dass sie wie bauchpinselnde Erbauungsliteratur funktionieren: Sie vermitteln jedem noch so unbegabten Wesen dieser Welt auf schlichteste Art und Weise das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein und alles zu können. Wegen der unendlich vielen Begabungen und so, die Kobi Yamada allen einredet. Und wer will das nicht hören?
Als wäre das nicht schon unnötig genug, hat sich nun ein meterlanges Trittbrett gebildet, auf dem sich allerlei Fahrerinnen und Fahrerinnen dicht an dicht drängeln. Die erst gar nicht so tun, als hätten sie die Begabung, eine eigene Idee zu finden. Zum Beispiel Weil du einzigartig bist, kannst du alles schaffen: Inspirierende und mutmachende Geschichten über das grenzenlose Potential in uns von Elea Niehus. Bei BOD erschienen und bei amazon mit 1.103 Bewertungen versehen.
Oder Weil du ein wundervolles Mädchen bist von Nina Blume („Du bist gut genug, und zwar genauso wie du bist!“) mit 1.130 Bewertungen auf amazon, nicht zu verwechseln mit Weil du ein wundervolles und einzigartiges Mädchen bist von Katja Sommer („Du bist auf deine eigene Art und Weise wundervoll und vor allem einzigartig!“) oder mit Weil du ein einzigartiges Mädchen bist von Anne Bernstein und schon gar nicht mit Weil du ein einzigartiges Mädchen voller Stärken bist von Sophia Jung („Du bist wunderbar und fabelhaft. Bleibe bitte genauso wie du bist, denn du bist perfekt!“) Oder eben nicht nur wundervoll oder einzigartig, sondern etwas Besonderes. Weil du etwas Besonderes bist. Genau. Von Alma Gross („Diese Geschichte soll dir zeigen, wie Besonders du bist, mit all deiner Einzigartigkeit“). Egal ob Alma oder Pia: Pia Gross zaubert noch ein Weil du ein zauberhaftes Mädchen bist. dahin. Und natürlich Weil du unvergleichlich bist, schaffst du alles. von Annalena Siedler. Nicht zu vergessen: Du bist fantastisch! von Sophie Linde.
Wer sich jetzt fragt, ob auch Jungs wundervoll sein können? Nein, können sie nicht. Denn sie sind großartig. Eben Weil du ein großartiger Junge bist. von Nina Blume. Und anstatt der zauberhaften Mädchen heißt es bei Pia Gross, ja der Pia Gross Weil du ein fantastischer Junge bist. Da muss schon der Lese Papagei, ja so heißt der oder die Autor:in, kommen, denn bei dem geht auch Weil ich ein wundervoller Junge bin („Du bist großartig und in dir schlummern unendlich viel Mut und Selbstvertrauen.“) Und selbstverständlich auch Weil ich ein wundervolles Mädchen bin Jungen? Mädchen? Das sind doch nur bürgerliche Kategorien. Denn Mädchen wie Jungs wissen eh: Du bist einzigartig wundervoll, sagt Mara Linde.
Mir reicht es, ich bin gestärkt bis in die Haarspitzen. Wowowow, ihr kleinen Einsteins und Curies, ihr da Vincis und de Beauvoirs! So wunderwunderwundervoll ist das Leben, wenn man solch inspirierende Bücher geschenkt bekommt!
Kinder brauchen Lob zum Wachsen und Werden – Lobhudelei dagegen macht Kinder intuitiv skeptisch und lässt sie zweifeln – dieses Lob schreckt eher ab und kommt nicht an …
Kinder besuchen von ihren Eltern natürlich VorschussLobBeeren, Ermutigung und Bestätigung – festgemacht an bestimmten Situationen – in den blauen Dunst gesprochen verflüchtigt sich Lob schnell – ist schal, kitschig und übertrieben – Kinder merken das !!
Also bleibt „auf dem Teppich“, liebe LobHudler / nehmt die Kinder ernst und schaut genau hin – was sie gerade da wo sie stehen brauchen – klare Grenzen gehören auch dazu – Eltern die Lobhudeln, haben meist wenig Zeit und ein schlechtes Gewissen – aber das ersetzt nicht den Mangel an Zeit für die Kinder und dass sie nicht ernst genommen werden !!