Ene mine muh

oder der schleichende Abschied des Michael Neugebauer

Es war einmal ein Bilderbuchverleger, der gründete 1979 in Salzburg seinen eigenen Verlag, gerade mal 29 Jahre alt. Mit reichlich Selbstvertrauen ausgestattet benannte er ihn einfach nach sich selbst, Michael Neugebauer.

Den Namen gibt es auch heute noch, als die ersten beiden Buchstaben seines Vor- und Nachnamens in minedition. So hieß der Verlag schon nach seinem Neustart 2004 und auch jetzt noch, nun aber ohne die Person Michael Neugebauer als Verleger. „Er hat den Bilderbuchverlag zum Jahresende 2023 verlassen“ hieß es lapidar in einer Meldung im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels vom 5.1.2024. Naja, mit 74 Jahren kann man schon mal an Ruhestand denken. Oder hadern mit vielem, was davor verklärt und weggebügelt wurde. Und jetzt Schatten wirft auf die Person Michael Neugebauer und seine großen, weltweit anerkannten Verdienste rund um das Bilderbuch und die Illustration.

Denn verlassen hat Michael Neugebauer den Verlag nicht freiwillig. Ein Verlag, der schon seit 2020 nicht mehr ihm, sondern der chinesischen Thinkingdom Media Group gehört, ab 7.7.2020 mit dem zeichnungsberechtigten Vertreter aus China Xin Li in der Geschäftsführung. Selbst Bodo Horn-Rumold schrieb in seinen Glückwünschen zum 70. Geburtstag noch ausweichend „Nun, 2020, hast Du Dich in den USA mit dem Verlag Boyds Mills & Kane und durch das immer starke Engagement im asiatischen Raum mit der Thinkingdom Media Group in Peking zusammengetan.“ Klingt nach Partnerschaft auf Augenhöhe und Kooperation, aber nicht nach Käufer und Verkäufer. Sonst würde ja auch der Satz nicht stimmen: Wer zahlt bestimmt. Und bestimmt hat schon früh der Käufer, die Thinkingdom Media Group.

Der Reihenfolge nach: Im Zuge ihrer Expansionsstrategie hat die Thinkingdom Media Group 2020 als 100%-Tochter das Astra Publishing House in den USA gegründet. Statt langwierig unter diesem Namen einen Verlag aufzubauen, hat man stattdessen kleinere Verlage geschluckt. Am 19. Mai 2020 gab man bekannt, den Verlag Boyds Mills & Kane wie auch mineditionUS gekauft zu haben – de facto nicht nur das amerikanische Büro, sondern gleich den gesamten Verlag minedition mit allen Standorten, in der Schweiz und in Hongkong. Dierenommierte York Times-Journalistin Maria Russo übernahm als Editorial Director die Leitung von mineditionUS, und alles sollte merge-floskelhaft größer, erfolgreicher, besser werden. Übrigens: Maria Russo ist im Januar 2024 ausgeschieden und erschienen sind bei mineditionUS seit Mai 2023 keine neuen Bücher mehr. Parallel wurde schon 2020 auf internationalem Parkett nach einem zumindest langfristigen Nachfolger für Michael Neugebauer gesucht.

Das passt nur wenig zu den hochfliegenden Plänen Michael Neugebauers. Als er sich 2021 im Börsenblatt zum Verkauf äußerte, wurde das geschwurbelt, was immer geschwurbelt wird und selten mehr ist als Plattitüde: Partner, bei denen „Die Chemie stimmt“, dazu große Pläne „Wir wollen weiter expandieren“ und das auch personell. „Zum anderen suchen wir zu uns passende Kinderbuchverlage zu übernehmen oder als Kooperationspartner zu gewinnen.“ Als würde das die Pläne illustrieren erschien 2022 das Bilderbuch der Schauspielerin Diane Kruger Dein Name mit Illustrationen von Christa Unzner dass ohne diese wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ganz sicher nicht bei minedition erschienen wäre.

Jetzt, 2024, ist davon rein gar nichts eingetreten. Alles wirkt eher wie notdürftig zusammengeschustert, um den Verlag noch am Leben zu erhalten, wenn Vertriebsleiterin Martina Flessenkemper aus ihrem deutschen Homeoffice heraus auch noch die Presseanfragen entgegennimmt, nachdem die langjährige Zusammenarbeit mit Gudrun Albertsmeier endete.

Anders gesagt: Die Freude am Büchermachen, die Entdeckung und Zusammenarbeit mit Illustratorinnen und Illustratoren haben Michael Neugebauer den tadellosen Ruf eingebracht, den er weltweit genießt. Weit weniger glücklich war und ist er im verlegerischen Handeln. Denn die Auslandsbüros, die eine nicht vorhandene personelle Größe vorgaukelten, das Zwischenspiel unter NordSüd und die Neugründung von minedition 2004, der Vertrieb über Egmont, der 2008 startete und 2014 endete, dazu der Verkauf 2020, all das zeugt nicht von einem stabilen finanziellen Fundament, sondern eher von einem ökonomischen Schlingerkurs, bei dem erst mal Löcher gestopft wurden, bevor ans Expandieren gedacht werden konnte. Das konnte ein spürbar in die Jahre gekommenes Programm von typischen „Neugebauer“-Büchern nicht mehr auffangen – wenn es das denn je konnte.

Die Zeit ist eben nicht spurlos vorübergegangen, der Markt und die Vorstellungen von guter Bilderbuchillustration haben sich weiterentwickelt. Und das Befremden war groß, als die Messebesucher in Bologna gleich zweimal auf Michael Neugebauer trafen: Einmal als namensgebenden, aber ehemaligen Verleger unter dem regulären minedition-Label, und einmal mit den Buchprojekten, die Michael Neugebauer selbst noch zu verantworten hatte, an einem eigenen Stand. Der Verkauf an den chinesischen Verlag war der Anfang vom Ausstieg, weil trotz aller Beteuerungen eben doch ein Stück Seele mitverkauft war. Neue Eigentümer sind selten bereit, alles beim alten zu belassen und dafür bündelweise Geld in dem Büro abzuladen, in denen der Alteigentümer sitzt und ignoriert, das ein anderer das Sagen hat. Oder es erst dann bemerkt, wenn er herausgetragen wird. minediton ist nicht mehr der Verlag von Michael Neugebauer. Was daraus wird, scheint heute unklarer als zuvor.

(Bild: minedition)