Dahl wird schal

Nochmal zu Roald Dahl. Nachdem die neu ins Deutsche übersetzten Kinderbücher nun sukzessive bei Penguin Junior erscheinen, tut sich auch in England etwas. Dort erscheinen sie neu durchgesehen bei Puffin Books, der dortigen Kinderbuchsparte von Penguin. Das ist erst mal nichts Ungewöhnliches.

Dass sich jetzt Autoren wie Salman Rushdie erbost zu Wort melden: „Roald Dahl war kein Engel, aber das ist absurde Zensur. Puffin Books und die Dahl-Erben sollten sich schämen.“ liegt an der Art und Weise, wie diese Texte durchgesehen wurden. Es waren Expert:innen von Inclusive Minds, die den Auftrag zur Durchsicht bekamen und an vielerlei Stellen Anmerkungen hatten. Inclusive Minds, das ist eine 2013 gegründete Organisation, die mit Verlagen und Autor:innen zusammenarbeitet, um sie in der „authentic representation“ zu unterstützen. Klingt ganz nach Sensitivity Reader, aber davon grenzt sich Inclusive Minds ab: „Bei der Einbeziehung unserer Botschafter geht es nicht darum, potenziell kontroverse Inhalte zu streichen, sondern vielmehr darum, Authentizität und integrative Stimmen und Erfahrungen von Anfang an einzubeziehen und zu verankern.“ Aha.

Nun kann Roald Dahl nichts mehr mit einbeziehen und verankern, aber seine überaus geschäftstüchtigen Erb:innen der Roald Dahl Story Company sehr wohl. Und das haben sie getan. Schließlich sollen die generalüberholten Titel den zeitlosen Charme auch durch sämtliche marginalisierten und triggergefährdeten Gruppen hindurch behalten. Also wurde gestrichen, umformuliert, ergänzt, was weit über das hinausgeht, was die Erb:innen als „nicht unüblich bei Neuauflagen“ und „geringfügig und wohlüberlegt“ rechtfertigen.

Aus Männern werden Menschen, „enorm fett“ wird zu „enorm“, die „schwarzen Traktoren“ sind jetzt einfach nur „mörderisch und brutal“, Begriffe wie „crazy“, „idiots“, „mad“ werden geändert oder gestrichen. Und in Matilda wird aus der Passage „Sie fuhr mit Joseph Conrad auf Segelschiffen aus alten Zeiten. Sie reiste mit Ernest Hemingway nach Afrika und mit Rudyard Kipling nach Indien.“ nun kolonialismussensibel „Sie besuchte Landgüter des 19. Jahrhunderts mit Jane Austen. Sie reiste mit Ernest Hemingway nach Afrika und mit John Steinbeck nach Kalifornien.“

Auch einige Verse aus James und der Riesenpfirsich wurden mal eben neu gedichtet: “Aunt Sponge was terrifically fat / And tremendously flabby at that,” und “Aunt Spiker was thin as a wire / And dry as a bone, only drier.” wurde nun: “Aunt Sponge was a nasty old brute / And deserved to be squashed by the fruit,” und “Aunt Spiker was much of the same / And deserves half of the blame.”

Die Diskussionen um derartige Eingriffe, sei es nun im Schreibprozess selbst oder bei der Neuauflage von Klassikern, reißt nicht ab. Ist das schon Zensur? Ein sprachpolizeilicher Schutzwall, der um Literatur hochgezogen wird? Ein Überreagieren? Oder doch ein notwendiger Prozess, der sensibilisiert und zeithistorische Sprachverfehlungen korrigiert?

Meine Waage pendelt noch immer auf die Seite derer, die sagen: Finger weg. Dann lieber eine Triggerwarnung ergänzen und hinten in einem Nachwort den Zeitbezug erläutern. Wenn es unbedingt sein muss. Denn: Niemand wird gezwungen, Roald Dahl zu lesen – wenn mir darin etwas missfällt. Aber wer aus Roald Dahl Konsensliteratur machen will, die bloß niemandem auf die Füße tritt, der macht Dahl nur schal. Und das hat er nicht verdient.

(Illustration: Quentin Blake)