Es reicht! Solidarität mit Pim Lammers.
Es fing so harmlos an. Seit 1955 organisiert in den Niederlanden die CPNB (Stichting Collectieve Propaganda voor het Nederlandse Boek) jedes Jahr im Oktober eine „Kinderboekenweek“ mit landesweiten Veranstaltungen. Dafür bittet sie Autor:innen, das ‚Kinderboekenweekgeschenk’ zu schreiben. Für das Motto 2023 „Bei mir zu Hause“ (Bij mij thuis) sagte Sanne Rosseboom zu, illustrieren wird Yvonne Jagtenberg, den Song von Kindern für Kinder wird der Moderator und Autor Iven Cudoghan erarbeiten und das Gedicht der Kinderbuchwoche steuert der Autor Pim Lammers bei. Ein junger Autor, der offen zur LGBTQ+-Community gehört und mit seinem Bilderbuch „Das Lämmchen, das ein Schwein ist“ (Het lammetje dat een varken is) 2018 als jüngster Preisträger den Silbernen Griffel gewann. So weit, so gut, so harmonisch präsentieren sich die vier um ein Sofa drapiert beim gemeinsamen Fototermin für die CPNB.
Bis Ende Januar auf einem rechtskonservativen Blog, der schon seit längerem gegen die vermeintliche Frühsexualisierung von Kindern wettert, ein Artikel über Pim Lammers erschien. Ein Text, der ihm aufgrund einer Kurzgeschichte für Erwachsene über die Beziehung eines Fußballtrainers zu einem minderjährigen Jungen Nähe zu Pädophilie vorwarf und das einerseits in Zusammenhang mit seinen Kinderbüchern, die auch von Trans- und Homosexualität handeln, und dem zu erwartenden Gedicht stellte. Tenor: So einer sollte das nicht schreiben dürfen.
Das wiederum griff die Initiative „Familie in Gefahr“ – der Name verrät die Ausrichtung – auf und warb in einer Online-Petition um Unterstützung. Dem CPNB sollte damit deutlich gemacht werden, dass diesem vermeintlichen Pädophilie-Autor keine Bühne geboten werden sollte. Rund 7.300 Unterstützer:innen haben sich bislang angeschlossen. Doch damit nicht genug.
Im niederländischen Parlament nutze der unabhängige Abgeordnete Wybren van Haga die entstandene Aufmerksamkeit, um am 4. Februar dem Bildungsminister Robbert Dijkgraaf kritische Fragen über Pim Lammers und dessen Engagement im Rahmen der Kinderbuchwoche zu stellen. Parallel liefen die Social Media-Kanäle immer heißer. Das Resultat: unverhohlene Morddrohungen. Vor dieser Eskalation, der Androhung körperlicher Gewalt, einer derartigen Schmutzkampagne und als Schutz zog Pim Lammers bittere Konsequenzen: er sperrte alle Social Media-Kanäle und verzichtete in einer öffentlichen Erklärung darauf, sich mit einem Gedicht zu beteiligen.
Da half auch nicht, dass Ministerpräsident Mark Rutte erklärte, „Morddrohungen sind inakzeptabel“ und dem Autor zur Seite sprang. Die niederländische Kinderbuchbranche aus Kreativen und Verlagen setzte ihrerseits ein Zeichen und veröffentlichte eine ganzseitige Anzeige, um ihre Solidarität mit Pim Lammers deutlich zu machen. Doch es war zu spät: Die Rechten gehen als Sieger vom Platz. Sie haben verhindert, was sie verhindern wollten. Sie haben einen missliebigen Autor diskreditiert und mundtot gemacht. Ein Autor, der sich seitdem zurückgezogen hat, schweigt und versuchen muss, mit dieser Situation klar zu kommen.
Der Vorgang ist beispiellos und zeigt so vieles: Die Unfähigkeit, Fiktion von Realität zu unterscheiden. Das Überschreiten jeder Grenze von Anstand und Moral, wenn es um die eigenen Überzeugungen geht. Eine verbale Eskalation, die kein Einhalten kennt. Und die kaum mehr zu übersehenden Risse im Fundament zivilen und demokratischen Miteinanders: Der Freiheit des Wortes. Dafür müssen wir gemeinsam einstehen und wehrhaft sein. Solche Ereignisse darf es nicht geben – jetzt gibt es sie, aber sie dürfen sich nicht widerholen. Nicht in den Niederlanden. Nicht hier. Nicht dort, wo es freie Meinungsäußerungen, eine freie Presse und eine freie Kunst gibt. Darum stehe ich an der Seite von Pim Lammers.