Arm macht dumm (1)
Am 17.10.22 sind die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends veröffentlicht worden. Erhoben wurden dabei u.a. die Deutsch-Kompetenzen der Viertklässler aller deutschen Bundesländern. Ergebnis: „Die Kompetenzen in Deutsch (…) haben sich bei Kindern in der vierten Klasse dramatisch verschlechtert.“ heißt es in der Zusammenfassung auf dem Deutschen Schulportal. Überraschend? Nein, erwartbar. Wie in jeder vergleichbaren Untersuchung seit Jahren. Ein Armutszeugnis für die im Nichts verpufften Forderungen an die Bildungspolitik, das 2018 formulierte Ziel „Jedes Kind muss lesen lernen!“ und den daraufhin gegründeten Nationalen Lesepakt umzusetzen. Sichtbare Ergebnisse? Keine.
Besonders auffällig: „Der IQB-Bildungstrend macht außerdem deutlich, dass die Schere zwischen Kindern mit einem Zuwanderungshintergrund und aus sozioökonomisch benachteiligten Familien gegenüber Kindern aus privilegierteren Familien weiter aufgegangen ist.“ Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Die Lese-Schwäche bei Kindern, bei denen die Muttersprache zuhause nicht Deutsch ist, hat sich durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie und Homeschooling potenziert, auch weil deren Anteil von 16 % in 2011 auf 38 % in 2021 gestiegen ist. Dazu kommt die Doppelung, einerseits sozial schwach, andererseits Deutsch nicht als Muttersprache.
Mal ehrlich, das alles wissen wir längst. Wir haben seit Jahren schon kein Erkenntnisproblem. Keins. Null. Wir haben ein Umsetzungsproblem. Weil wir noch nicht mal angefangen haben etwas Sinnhaftes zu tun, um die andauernde dramatische Verschlechterung zu stoppen.
Deshalb ist auch die Schlussfolgerung von Petra Stanat, der Direktorin des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), wenig überraschend: „Eine nachhaltige Verringerung des Anteils von Schüler:innen, die nicht die Mindeststandards erreichen, wird man durch temporäre Programme wohl nicht erreichen. Hierfür brauchen wir kohärente, langfristig angelegte Strategien mit klaren Zielen, konkreten Umsetzungsplänen und einem begleitenden Monitoring.“ So wie das Hamburg gemacht hat. 2011 noch Schlusslicht gehört Hamburg jetzt zur Spitzengruppe mit Bayern und Sachsen, weil umgesetzt wurde. Womöglich, weil seit 2011 eine Partei, die SPD, seit 2015 mit den Grünen, Bildungspolitik umsetzen kann und das auch tut. Wohl mit Erfolg.
Aber die Förderung muss viel früher ansetzen, sagen die Forscher:innen. Das heißt, dass Kinder mit ungünstigeren Lernvoraussetzungen bereits vor Eintritt in die Schule gezielter gefördert werden als bisher. Das unterstützt auch Karin Prien (CDU), die aktuelle KMK-Vorsitzende und Bildungsministerin von Schleswig-Holstein. „Wir investieren in Deutschland zu wenig in den Elementarbereich. Bereits in der Kita müssen wir insbesondere den Erwerb und die Förderung von Deutsch als Bildungssprache (…) in den Blick nehmen.“ Richtig. Und sofort fällt einem die unsägliche Diskussion um die Sprach-KiTas ein und das Geschachere um die Finanzierung. Statt auslaufender Modell-Projektförderung vom Bund Regelfinanzierung durch die Länder, die das erst mal abgelehnt haben. Das ist Lösungsfindung auf dem Rücken der Kinder und der Sprachförderkräfte, die momentan in der Luft hängen. Umsetzungsproblem? Klar, mal wieder.
Die Bundesbildungsministerin Starck-Watzinger kommentiert die Ergebnisse betroffen und stellt ihr geplantes „Startchancen“-Programm als großen Hebel vor. Vor 2024 wird das zwar nicht kommen, und profitieren können eh nur 4.000 von in Deutschland 40.000 Schulen. Außerdem sind Infrastrukturverbesserung und Sozialarbeit vor Ort zwar wichtig, aber definitiv nicht die Hebel, um die Defizite in Deutsch und Mathematik zu beheben und eine Bildungslaufbahn zu beschreiten. Bildungsgerechtigkeit muss über die Vermittlung von Grundkompetenzen wie dem Lesen-Können gehen. Und solange die Bildungssprache Deutsch ist, ist Bildung nur durch Sprache möglich. Also: Vergessen wir die vergangenen Jahre einfach und setzen noch mal dort an: „Jedes Kind muss lesen lernen.“ Ist doch ganz einfach.