Nachschlagen für 2,6 Mio. Euro

Der Corona-Lockdown geht uns allen auf die Nerven. Besonders betroffen: Schülerinnen und Schüler, die seit Wochen die Schulgebäude nicht mehr betreten dürfen. Während manche noch immer versuchen, auf eBay ein Faxgerät zu ersteigern, damit sie endlich die von ihren Lehrer*innen versendeten Arbeitsblätter aus der Schule ausdrucken können, brummt andernorts schon der Digitalunterricht. Naja, jedenfalls dort, wo Kinder zuhause die Möglichkeit haben, an schulischem Digitalunterricht teilzunehmen, die eingesetzten Tools zu verwenden und eine stabile Internetverbindung haben.

Ach, haben manche nicht? Wieso, es gibt doch den großen Digitalpakt, der die Digitalisierung der Schulen und damit auch der Schüler*innen vorangebracht hat? Oh, der Topf ist noch immer nicht zu mehr als 20 Prozent ausgeschöpft? Mmh. Da scheint noch einiges im Argen zu liegen. Ausgerechnet jetzt, wo digitaler Unterricht die einzige Möglichkeit ist, Kinder und Jugendliche nicht in einem Bildungsvakuum zu parken, aus dem sie später nicht mehr herauskommen.

Aber Nordrhein-Westfalen bzw. die Schul- und Bildungsministerin Yvonne Gebauer von der FDP hat reagiert. Greift jetzt rigoros durch. Knallt die Faust auf den Tisch und sagt: „Nicht mit mir!“. Holt 2,6 Millionen Euro aus der Schatulle und rettet damit die Allgemeinbildung. Denn unter ihrer Ägide sind die Schulen in Nordrhein-Westfalen „rasant digital“ ausgebaut worden. Vielleicht mit verstärkten Dämmschutz, damit man das ohrenbetäubende Fiepen der 56k-Modems jetzt nicht mehr in den Klassenzimmern hört. Fehlen noch die Lerninhalte. Also die digitalen Lerninhalte. Genau die hat Ministerin Gebauer jetzt geordert. Für 2,6 Millionen Euro für die nächsten drei Jahre.

Was sie bestellt hat? Das „Paket des Brockhaus Online-Nachschlagewerks“, das die „Enzyklopädie, ein Jugend- und Kinderlexikon“ und den Online-Kurs „Richtig recherchieren“ beinhaltet. Das war’s. Immerhin, eine Vorlese- und Übersetzerfunktion in 60 Sprachen ist auch dabei. Aber Lerninhalte? Ein Lexikon? Wohl kaum. Statt für die stolz herausgegebene Pressemeldung und die Begründung für den Kauf Lob einzusammeln, hagelte es Kritik, zum Beispiel von netzpolitik.org.

Denn gefühlt verbirgt sich in dem folgenden Pressemitteilungssatz ein grundlegender Widerspruch: „Damit Lernende eine Vielzahl von Informationen sicher bewerten können, brauchen Sie neben altersgerechten Einstiegsinformationen in übersichtlicher, konzentrierter und schülergerechter Form vor allem objektive Inhalte.“ heißt es. Ja, schon, aber wenn ich einen objektiven Inhalt von Brockhaus habe, muss ich selbst ja keine Bewertung anderer Informationen mehr treffen. Der ist gesetzt. Weil er objektiver ist als Inhalte auf Wikipedia? Oder Klexikon, dem Kinderlexikon im Netz? Denn transparent ist der Wissenspool, aus den Brockhaus schöpft, auch nicht. Es gibt eine siebenköpfige Redaktions- und Ressortleitung, die man auf der Webseite von Brockhaus um zwei Laptops herum drapiert „bei der Arbeit“ sieht. Was sie da tun? Recherchieren sie im Netz? Bei Wikipedia gar? Bestellen sie etwas bei Liferando? Man weiß es nicht.

Es geht also im Kern um zu vermittelnde Medienkompetenz, um Media Literacy. Ein Thema, ungefähr so klar umrissen und erfolgreich umgesetzt wie die Digitalisierung in Schulen. Junge Menschen, die überteuerten Plunder kaufen oder sich Schönheitsoperationen unterziehen wollen, nur weil Influencer mit Millionenreichweiten ihnen eine heile Welt vorgaukeln, die vielen Janas aus Kassel und anderswo, die auf Kanälen wie Telegram und Bitchute die einzige einzig wahre Wahrheit finden – die fängt man mit einem Brockhaus-Abo für Schulen nicht ein.

Stattdessen muss man neidlos anerkennen, dass die Brockhaus-Vermarktung bei den öffentlichen Bildungsträgern und dem Ministerium offenbar verfängt. Einmal Brockhaus, immer Brockhaus. Für den offenen und freien Umgang in unserer Wissensgesellschaft ein rückwärtsgewandtes Signal. Und ein viel zu teures obendrein.