Mit Hand und Füssli

Das Marketing der Buchhandelssparte von Orell Füssli hatte eine prima Idee. Lass uns doch mal Personas entwickeln für die typischen Kundengruppen, mit denen wir noch Umsatz machen. Gesagt, getan, schon waren sieben Gruppen und Personas identifiziert. Und wie nennen wir die jetzt? Gut, dass die Marketingfachkräfte Fans von Benjamin Blümchen, Karla Kolumna, Theodor Tierlieb und Erwin Erzähler sind. Deshalb heißen die Buchkäufer:innen zum Beispiel Lisa Leselust, die immer und jederzeit liest, Sophie Sonnenschein, der alles verschlingende Leseteenie und Peter Pfannenstil, der Kochbuchfan.

Dabei haben die Füsslis doch glatt vergessen, dass es auch fünf Personas für Buchhändler:innen gibt. Die liefere ich hiermit nach, gern geschehen:

Theresa Tausendsassa

Morgens mit den Bilderbuchkisten durch die fünf KiTas der Stadt, dann schnell die Jugendbuchautorin für die Schullesungen vom Bahnhof abholen und in die Astrid-Lindgren-Gesamtschule bringen, im Laden vorbeischauen, ob die zwei Schülerpraktikant:innen die Wannen ausgeräumt haben, bevor das Gästebett bereit gemacht wird für Daniel Kehlmann, der nach der Lesung in der Bibliothek ja kein Hotelzimmer benötigt („ist doch auch viel netter hier mit uns als in so einem anonymen Zimmer, oder, Daniel?“), dann noch den Leseclub mit den drei neuen Fahnen aus der Frühjahrsproduktion versorgen und die nächsten Treffen vereinbart, und schon sind ihr wieder drei Ideen gekommen, die sie noch unbedingt auf den Weg bringen sollte, nachdem sie die Seniorenlesegruppe in der Altenwohnanlage Abendrot per Lastenrad mit Großdruckromanen beliefert hat.

Pablo Pflasterstein

Hat noch Das Kapital von Karl Marx in der vollständigen Gesamtausgabe griffbereit im Regal, dazu natürlich die Werke der Frankfurter Schule und das Bolivianische Tagebuch von Che Guevara in Frontalpräsentation. Der Flair der alten Ivar-Ikea-Reale korrespondiert mit dem Duft nach Fair Trade-gehandelte nicaraguanische Kaffee von persönlich bekannten Kleinbauern, der immer ausschenkbereit in der Thermoskanne neben der alten Registrierkasse steht. An der Eingangstür prangt ein großes Schild mit einem R für Raucherbuchhandlung, das mindestens so alt ist wie seine ausgelatschten Boots mit der Kreppsohle, aber nicht ganz so alt wie die beiden Soziologie-Studierenden des dritten Lebensalters und der alte PDS-Kader Gerda aus Hoyerswerda, die fast schon zum Inventar gehören. Unterhaltungsliteratur? Ist hier Fehlanzeige.

Fiona Fingerweg

Öffnet sich die Ladentür, schlägt einem ein eisiger Wind aus den staubfreien Buchregalen entgegen und ein unnachgiebiger Röntgenblick heftet sich auf die Käuferfinger. Sind da Schmutzränder zu entdecken? Fassen die wieder unschuldige Bücher an? Blättern die ziellos darin herum? Werden die Bücher anschließend schief und krumm oder gar nicht ins Regal zurückgeschoben? Am schlimmsten sind Eltern mit Schokokekse futternden Kindern oder Gruppen von Jugendlichen. Darum stehen in der Kinderbuchabteilung in Kindergreifhöhe nur abwaschbare Badewannenbücher. Und diese Teenies? Was wollen die hier? Warum kaufen die ihre Klassenlektüre nicht bei Amazon? Oder verlangen stattdessen so merkwürdig bebilderte Comic-Bücher, die man von hinten nach vorne durchlesen muss? Und wer kam eigentlich auf die hanebüchene Idee, Bücher nicht mehr einzuschweißen?

Petra Papeterie

Der Weg ans Buch führt durch eine handvoll Drehständer mit lustigen Katzenkalendern, Notizbüchern, Schmuckkarten in allen Formaten, gerne besonders groß,  und für alle Anlässe, eine Schütte mit FSC-zertifizierten Geschenkpapierrollen und Einschlagpapier, bevor sich zwei Tische mit Non-Book-Artikeln hindernisparcourmäßig  in dem Gang schieben, auf denen Brotdosen, Trinkgefäße, Bleistifte und Malfarben mit Motiven von Käpt’n Sharky bis zu den Olchis liegen. Buchhandelsvertreter tun sich schwer damit, einen Termin zu vereinbaren, es sei denn, sie haben eine Extra-Nonbook-Vorschau dabei, während die Musterkataloge neuer Waren sich auf dem Bürotisch türmen. Die auch vor der Ladentheke mit Lesezeichen, Drops und Ansteckern nicht halt machen. Ach ja, Bücher gibt’s auch noch, irgendwo.

Boris Bernhard

Literatur? Ja, dafür stehen seine Buchhandlung und er ein. Nele Neuhaus? Nie gehört. Uwe Tellkamp? Literarisch natürlich ein Hochkaräter, aber seine Positionen sind streitbar, sehr streitbar, wie die vergleichende Textanalyse der 21 erschienenen Rezensionen der großen und wichtigen nationalen Zeitungen ergeben hat, die er auch in Ordnern sammelt oder in Auszügen auf die Bücher heftet. Wobei er natürlich da seine ganz eigene, unabhängige Meinung behält. Romane unter 700 Seiten? Eher unterkomplex, für Novellen und Erzählungen gerade mal annehmbar. Und Thomas Bernhard? Unglaublich wichtig, viel zu wenig gelesen, deshalb sind alle Bände da. Im Regal und in mehreren Sätzen im Lager, denn wenn der Literaturnobelpreis erst mal kommt, dann ist man vorbereitet, im Gegensatz zu diesen Ketten, die ja nur substanzlose Wegwerfbücher verkaufen. Keinen Blick für Qualität und innere Werte haben. Wie, kann er nicht bekommen? Aber sein Werk lebt ja weiter, muss man halt mal eine Ausnahme machen in Oslo.