Holtzbrinck und die ungleichen Geschwister
Es war einmal eine Verlagsgruppe, die hatte zwei Kinder, den rotfuchs und die Schatzinsel. Weil sie sich selbst nicht um sie kümmern wollte, gab sie die zwei zu fürsorglichen Pflegeeltern, das Ältere zu Rowohlt und das Jüngere zu S. Fischer. Und während das jüngere Kind mit größtmöglicher Unterstützung zu einem propperen Sonnenschein heranwuchs, musste das ältere sehen, wo es blieb. Denn seine Eltern hatten für ihr nervendes Gör offenbar seit Jahren keine Zeit.
Das sehen die anderen Eltern auf dem Spielplatz jede Saison deutlicher, wenn jetzt Ulrike-Anne Metzger, die neue Fischer-Verlagsleiterin, mit KJB samt Sauerländer und Co. und vielen neuen Spielsachen erst mal den größten Teil des Sandkastens für sich in Beschlag nimmt. Für den miesepetrigen rotfuchs bleibt da kein Fleckchen mehr übrig. Aber wer will schon mit ihm spielen? Mit dem nach Stilton miefenden und in die Jahre gekommenen Reineke? Es ist ein Trauerspiel um diese ungleichen Geschwister.
Bei S. Fischer steht Geschäftsführer Jörg Bong voll und ganz hinter der Idee, Kinderbücher zu machen und damit auch Geld zu verdienen. Die Fischer Schatzinsel, jetzt KJB, hat seit Jahren schon ein vielseitiges Vollprogramm mit Lücken bei Erstlesern, im Bilderbuch und beim Sachbuch. Die Bücher mit dem blauen Band, von ihm selbst mitinitiiert, bietet anspruchsvolle Literatur für Bibliophile. FJB räumt mit unterhaltender Jugendliteratur und All Age-Reihen ordentlich ab, und mit dem Zukauf von Sauerländer, Duden und Meyers werden auch die vorhandenen Schwächen noch ausgeglichen. „Am Ende soll als Ganzes etwas großes Neues entstehen“ schwärmt er im Interview mit dem Börsenblatt, und weiter: „Unser Bekenntnis zum Kinder- und Jugendbuch ist damit sehr nachdrücklich.“
Stimmt. Und aus dieser selbstbewussten Haltung heraus weigerte man sich bei Fischer, die Geronimo Stilton-Reihe ins Programm zu übernehmen, die jetzt bei Rowohlt 50 Prozent der rotfuchs-Neuerscheinungen im Herbst-/Winter-Programm 2013 ausmacht – nachdem die ersten Bände schon 2003 bei cbj floppten. Trotz Schnäppchenpreis von 1,99 € für den ersten Band und Mäuse-Walking Act für die Buchhandlung hat sich der Käsenager noch immer nicht bis nach ganz oben in die Bestsellerlisten durchgebissen. (Und wird es meiner Ansicht nach auch nicht tun, weil das Taschenbuch dafür das falsche Format ist)
Aber was mit dem Kinder- und Jugendbuchprogramm bei Rowohlt passiert, ist Verleger Alexander Fest offenbar gleichgültig und die Position der Programmleitung zu schwach. Ein bisschen Paperback hier, ein bisschen Taschenbuch da, etwas Fantasy noch, ein bisschen harter Stoff für den Deutschunterricht und dann auch noch die unverwüstliche Angela Sommer-Bodenburg: Eine Mischung, die mit dem Begriff Käse nur unzureichend umschrieben ist, auch wenn mit regelmäßiger Zufälligkeit eine auszeichnungswürdige Perle darunter ist. Ein Bekenntnis zum Wachstumsmarkt Kinder- und Jugendbuch ist das nicht, sondern eher Überleben am Tropf.
Ich trauere auch aus persönlichen Gründen mit. Als ehemaliger Lektor bei Rowohlt gibt es eine irrationale, aber unverbrüchliche Verbundenheit mit Verlag und Programm, in dem folgerichtig auch mein bisher einziges Kinderbuch erschienen ist. Darum wünscht man sich nichts mehr, als dass auch bei Rowohlt etwas großes Neues entsteht.