Heut geb ich’s dem Maxim!
Die gute Nachricht: Im literarischen Quartett am 11.12. ging es um ein Jugendbuch! Die schlechte: Keiner wollte das wahrhaben. Aber der Reihe nach: Diskutiert wurde der Roman Auerhaus von Bov Bjerg, erschienen im Verlag Blumenbar. Es ist die Geschichte einer Gruppe psychisch angeschlagener Jugendlicher, die in einer Art autonomer WG, im Dorf das Auerhaus genannt, versuchen, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Einstimmig gab es großes Lob für Autor und Buch. Alles gut soweit. Bis Daniel Cohn-Bendit unvorsichtigerweise formulierte, er habe sich bei den ersten Seiten der Lektüre gewundert, dass Maxim Biller ein Jugendbuch für die Diskussionsrunde vorgeschlagen habe. „Was will Maxim Biller mit einem Jugendbuch?“ Nach einigem Hin und Her über diese wunderbare Geschichte, über die geschilderte Lust am Leben und die großartige Schilderung dieser Seelenkrüppelgemeinschaft übernimmt Maxim Biller seine Paraderolle als Dauerbesserwisser mit dem Satz: „Das ist kein Jugendbuch. Es tut so.“ Aha. Weil es in Wahrheit von den Eltern handele, die als wichtiger Subtext unter der Geschichte dieser Jugendlichen liege. Oho. Dann wird es phänomenologisch. „Warum haben wir in der deutschen Literatur der letzten Zeit das Phänomen, ein Erwachsenenschriftsteller schreibt ein vermeintliches Jugendbuch? Hermsdorf „Tschick“, Jochen Schmidt „Schneckenmühle“, hier „Auerhaus“ (…) Warum traut er sich nur, (…) bei einem vermeintlichen Jugendbuch, einfach sich gehenzulassen?“ Nun gibt es die Verschwörungstheorie, dass die Bildungshuberei der Feuilletons und der Suhrkamp-Literatur die Autoren bis zur Sterbenslangweiligkeit knechte. Und Bob Bjerg nur deshalb schreibe, ohne sich anpassen zu müssen, weil er so tut, als schriebe er ein Jugendbuch.
An dieser Diskussion sind zwei Aspekte interessant: Erstens die Behauptung, Auerhaus sei kein Jugendbuch. Zweitens die Behauptung, leicht und unangepasst zu schreiben gelinge oft unter der Tarnkappe Jugendbuch bzw. mit dem Trick, es vermeintlich so daherkommen zu lassen.
So einfach ist es nicht. Die Diskussion, ob ein Buch ein Jugendbuch ist oder nicht, dürfen selbstverständlich viele führen. Ein Jugendbuch ist nicht nur dann ein Jugendbuch, wenn es in einem Kinder- und Jugendbuchverlag und kein Jugendbuch, wenn es dort nicht erschienen ist. Ein Jugendbuch ist auch dann ein Jugendbuch, wenn es von Jugendlichen gelesen wird, weil es eine relevante Geschichte erzählt. Die ist in Auerhaus dominant. Natürlich spielen Erwachsene eine Rolle, die man jedoch extrem überhöhen muss, um sie, wie Maxim Biller, als tragend zu charakterisieren. Genau das ist ja die Kunst von Bob Bjerg: die sehr gelungene Doppeltaddressiertheit an Erwachsene und Jugendliche. Übrigens: Wolfgang Herrndorf hat Tschick sehr wohl als Jugendbuch geschrieben und gesehen. „Ich habe überlegt, wie man diese drei Dinge (d.h. schnelle Eliminierung der erwachsenen Bezugspersonen, große Reise, großes Wasser) in einem halbwegs realistischen Jugendroman unterbringen könnte.“ sagt Wolfgang Herrndorf am 31.01.2011 in einem Interview mit der FAZ.
Und sorgt der Trick Jugendbuch tatsächlich für leichte und unbeschwerte Literatur? Die lesbarer und zugänglicher ist als die Feuilleton-Bildungshuberei? Wenn es nicht so despektierlich daherkommen und dem Jugendbuch eine gewisse Literarizität absprechen würde, wäre da was dran. Denn in der Tat, das Jugendbuch will gelesen werden, Belletristik oftmals nur geschrieben. Was die Lektüre oft erschwert.
Trotzdem wäre es schön gewesen, Auerhaus hätte im Literarischen Quartett einfach mal ein tolles Jugendbuch sein dürfen. Es hätte niemandem weh getan. Selbst dem Buch nicht.