ABC-Alarm

Unausweichlich? Nicht umkehrbar? Alarmierend? Das alles kommt einem in den Sinn, beim Blick in die am 30.11.2021 vorgestellten Ergebnisse der neuen JIM-Studie des Medienpädagogische Forschungsverbundes Südwest (mpfs). Da geht es um Mediennutzung allgemein, um für Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren relevante Themen wie Klimawandel und die Corona-Situation, um Nachrichtenquellen und Hassbotschaften, um WhatsApp und Fake News. Das alles ist in der Pressemitteilung des mpfs nachzulesen unter der zeitgeistgemäßen Überschrift „Anstieg an Desinformation und Beleidigungen im Netz“ als zentraler Zusammenfassung.

Schon richtig. Aber branchenrelevant ist in der JIM-Studie vor allem das Kapitel 6 „Bücher und Lesen“ (Seite 20 ff). Und die Veränderungen im Laufe eines Jahres (von 2020 zu 2021) und im Laufe der Jahre (seit 1998 wird jährlich erhoben). Darüber steht nix in der Pressemitteilung. Obwohl dazu das ein oder andere zu sagen ist. Und zwar dringend wie drängend. In der Studie ist die Veränderung des Leseverhaltens noch relativ neutral formuliert, es handelt sich um einen: „wellenförmiger Verlauf mit abnehmen­der Tendenz, bei dem sich die Beschäftigung mit Büchern seit Beginn der JIM-Studie 1998 um die Marke von 40 Prozent bewegte. Aktuell liegt der Anteil der Jugendlichen, die sich aus eigenem Antrieb – also ohne berufli­chen oder schulischen Anlass – mit gedruckten Büchern beschäftigen, bei 32 Prozent.“ Das ist der niedrigste Wert ever, nur mal so. 32 Prozent. Weniger als ein Drittel. 2011 lag der Wert bei 44 Prozent. Erhöht hat sich dagegen der Anteil an Nicht-Lesern, der liegt bei jetzt 18 Prozent, davon 23 Prozent Jungs und 13 Prozent Mädchen.

Auch wenn hier „gedruckte Bücher“ steht: Das E-Book rettet diese Negativwerte nicht. Es geht um Text in üblichem Buchumfang in allen Erscheinungsformen.

Lesen ist weiterhin ein Mädchending? Ja, schon, wobei die Mädchen ungewohnt schwächeln, es sind nur noch 36 Prozent regelmäßige Leserinnen, im Vergleich zu 42 Prozent 2020. Dafür lesen weiterhin 29 Prozent der Jungs regelmäßig, im Vergleich zu 28 Prozent im vergangenen Jahr. Und Bildung? Spielt weiterhin eine große Rolle. 39 Prozent der Gymnasiast:innen lesen regelmäßig, aber nur 23 Prozent der Haupt- und Realschüler:innen. Nur mal zum Vergleich: 2011, also vor 10 Jahren, lagen die Werte bei 32 Prozent bei Hauptschüler:innen, 37 Prozent bei Realschüler:innen und 52 Prozent bei Gymnasiast:innen. Alarmierend? Ja, meiner Ansicht nach schon, wenn man auch andere Studien mit heranzieht. In der eine jugendliche Unlust an Lektüre gerade in Deutschland konstatiert wird. Oder die Rückmeldungen aus pädagogischen Fachschulen für Erzieher:innen. In denen die Bedeutung von Bilderbüchern für kleine Kinder erst noch vermittelt werden muss. Weil da viele jungen Menschen sitzen, für die das Neuland ist. Weil sie selbst nicht (mehr) lesen.

So betrachtet machen die JIM-Ergebnisse 2021 wenig Spaß. Bücher zu lesen wird als schulisch notwendiges Übel gerade noch so akzeptiert, um dass man sich dank YouTube und Wikipedia noch halbwegs herummogeln kann. Mit persönlicher Bereicherung bringen Bücherlesen nur die wenigsten in Verbindung. Und nun? Auf Initiativen und „wir müssen gemeinsam irgendwas anpacken“ hoffen? Von der Politik ist bisher dazu wenig zu erwarten. Ein Digitalpakt 2.0 für Schulen ist sicher notwendig. Aber warum Schüler mit Technik zuschütten, wenn sie nicht mal die grundlegendsten Dinge kennen und können? Wollen wir wirklich bis Ende 2022 warten, bis die IGLU, die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung uns noch dramatischere Ergebnisse aus monatelangem Schullockdown liefert bei den Jüngeren liefert? Anscheinend.