Luka liest vor
Manchmal braucht es erst einen Hinweis von außen, um auf neueste Erfindungen zur Leseförderung aufmerksam zu werden. Wie die Vorstellung der Firma ITR Industry to Retail GmbH als neues Mitglied im Stifterrat der Stiftung Lesen bei der diesjährigen virtuellen Stiftungsversammlung. Weil wohl den wenigsten der Name etwas sagt: ITR entwickelt und vertreibt mit internationalen Partnern technologische Produkte in den Bereichen Entertainment, Education und Healthcare, beschreibt sich ITR selbst. Hilft wahrscheinlich noch nicht weiter. Aktuell gut laufen Einweg-Schutzmasken und der Vollgesichtsschutz. Auch nicht der Grund des Engagements. Sondern das ist Luka, der Vorlese-Freund. Entwickelt vom chinesischen KI-Startup Ling Inc. Der aussieht wie eine stilisierte Eule aus einem Anime. Der über eine Bibliothek von aktuell 500 Büchern verfügt. Der eine Aufnahmefunktion besitzt. Der nicht nur das vor ihm liegende Buch erkennt, dass er vorlesen soll, sondern auch die jeweilige Seite. Und dadurch das Kind aktiv mit einbezieht, denn Luka kann vieles, aber das nicht: Umblättern.
Was er leisten soll? Der Picture Book Reading Robot „Bring your kid back to books. Help children find their passion for reading.“ sagt der chinesische Entwickler. Interessante Formulierung: back to books. Als hätten die kleinen Bilderbuchleser*innen das Buch an sich schon längst überwunden, würde sie nicht ausgerechnet ein Roboter wieder dorthin zurückbringen. Aber bis Luka seine Augen verdreht und loslegt, braucht es allerlei. Vor allem Geld. Denn die putzige Eule kostet regulär 199,- Euro. Darin enthalten sind eine eigene, kleine Geschichte in deutsch und englisch sowie zwei Titel aus dem Carlsen-Verlag. Um auf die wachsenden Bibliothek zugreifen zu können, muss Luka mit der Luka-App auf einem Smartphone verbunden sein. Um Luka jetzt zum Reden zu bringen, braucht es a) das physische Buch und b) den eingesprochenen Text, der in der App heruntergeladen werden muss. Und der pro Textdownload mit einem Kaufpreis von bis zu 10 Euro zu Buche schlägt. Oder umgerechnet mit 1.000 Luka-Coins, die in der Schatztruhe der App als Geldreserve zum Nachkaufen gebunkert werden können. Das heißt: Neben dem Gerät brauche ich immer das Buch plus eine durch den Buchumfang bestimmte Summe an Coins, um den Vorlesetext zu laden und zur Verfügung zu haben.
Deutlich günstiger ist es, vorhandene Bücher selbst einzulesen. Kann man machen, kostet aber Zeit. Und ist bei Luka technisch limitiert. Dann funktioniert es aber in gleicher Weise, auch mit eigenen Texten werden die Seiten erkannt und zugeorndet.
Natürlich wird von ITR betont, dass Luka das Vorlesen echter Menschen nicht ersetzt, sondern ergänzt und ganz viele positive Effekte beim Lesenlernen hat. Die sind natürlich alle übertragen aus den aktuellen Studien zum Vorlesen. Also zum Vorlesen durch echte Menschen, die stoppen, wiederholen, Fragen beantworten, interagieren können. Das gehört nämlich auch zum Vorlesen dazu. Genauso wie der Vorleseseort und die körperliche Zuwendung. Bei diesen Punkten kann Luka nur neidisch die Augen verdrehen. Aussagen wie er „erweitert den Wortschatz und fördert die kindliche Sprachentwicklung“ – das funktioniert auch, wenn man viel mit seinem Kind spricht – „Tägliches Vorlesen verschafft Kindern einen deutlichen Startvorteil beim Lesen-Lernen.“ – ja, aber auch und sogar noch effektiver, wenn echte Menschen ihm Vorlesen, oder aber die Tonies, oder audible im Hintergrund – stehen als Behauptungen im Raum.
Ja, der positive Effekt des Vorlesens ist wissenschaftlich belegt. Aber ob der auch für die Eule Luka oder andere Gadgets mit ähnlichen Funktionen wie eben die Tonies oder wie TipToi gilt, leider noch nicht. Und ganz ehrlich: In erster Linie ist Luka Vorlese-Convinence, zu einem ziemlich hohen Preis. Also genau das richtige Ding für Familien mit einem Kinderkrippen-SUV und abendlichen Sätzen wie „Schatz, ich habe noch einen ganz wichtigen Call mit L.A., lass dir doch von Luka noch eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen! Nachti!“ Eule, lies vor, dafür wirst du schließlich bezahlt! Ein Rezept, um gegen Befunde wie die rund 31 Prozent der Eltern, die ihren Kindern nicht oder zu selten vorlesen, zugespitzt bei 51 Prozent bei Eltern mit formal niedriger Bildung (Zahlen aus der Vorlesestudie 2019) zu wirken, ist das leider so gar nicht.