Heiße Datenluft

Fünf Journalisten, der Deutschlandfunk und verpulverte Staatsgelder für rechtsextreme Buchprojekte: So kann man am Tag der Eröffnung der Leipziger Buchmesse Kulturstaatsministerin Claudia Roth richtig die Laune verderben. Ein bisschen zumindest. Wenn man sich auf diese investigative Enthüllung einlässt.

Vorab: Ich schiele nicht auf Beifall von der falschen Seite. Aber in der Woche der Meinungsfreiheit muss man hinterfragen, wie weit die in dieser Recherche erhobenen Vorwürfe tragen.

Der Vorspann verrät, was in der Kulturförderung schiefgelaufen zu sein scheint: „Im Rahmen von „Neustart Kultur“ flossen während der Pandemie rund 94 Millionen Euro in den Buchmarkt. (…)“ An Übersetzer:innen, Autor:innen, Verlage, aber eben auch jene zweifelhaften Buchprojekte. Ans Geld zu kommen war einfach: Antrag beim Börsenverein als einem der verteilenden Branchenverbände stellen, ankreuzen, dass das Projekt „keine jugendgefährdenden, gewaltverherrlichenden, verfassungsfeindlichen oder strafbaren Inhalte” aufweist, fertig.

„Dieses Verfahren (…) war andererseits aber auch schlecht, weil der Staat damit einen Teil der Kontrolle und die Möglichkeit zur direkten Prüfung verlor.“ sagt das Journalistenkollektiv. Mmh. Genau so war das auch gedacht, würde man meinen. Denn wer hätte da prüfen sollen? Und nach welchen Kriterien? Was wäre dann in den Augen dieser Kommission förderungswürdige Kultur im Sinne des Journalistenkollektivs, was nicht?

Aber weiter geht es mit Spekulationen. „Deutschlandfunk Kultur konnte als erstes Medium die Liste der geförderten Buchprojekte sichten. Bei der Analyse fällt zunächst ein starker Überhang von Ratgebern und Fachliteratur gegenüber anderen Genres ins Auge: Belletristik, die am Buchmarkt normalerweise einen Anteil von etwa 31 Prozent hat, ist hier nur mit knapp 19 Prozent vertreten. Außerdem wurden deutlich mehr Projekte von Autoren als von Autorinnen gefördert.“

Was heißt das? Vielleicht ganz einfach, dass mehr Ratgeber- und Fachliteratur-Projekte eingereicht wurden? Dafür hätte man nicht nur eine Liste der bewilligten Projekte, sondern auch eine der eingereichten Projekte benötigt. Hat man die nicht, sind Schlussfolgerungen Kaffeesatzlesereien.

„Auch inhaltlich sieht diese Liste ganz anders aus als erwartet:“ Erwartet als wie? Doch die nachgeschobene Erklärung bleibt subjektiv-spekulativ. „Statt vieler Projekte renommierter Verlage aus dem Bereich Belletristik und Hochliteratur findet sich dort eine wilde Mischung von Titeln aus Kleinstverlagen.“ Fragen über Fragen. Was sind renommierte Verlage und warum widerspricht das der Bezeichnung Kleinverlag? Und warum Hochliteratur und Belletristik? Weil sich das per se nicht verkauft? Ist Lyrik auch Hochliteratur? Aber die verkauft sich so gut wie gar nicht? Warum dann nicht von der überproportional viel? Aber man schaut ja jetzt genauer hin.

„Dazu tauchen Werke auf wie ein Buch des ehemaligen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy oder die Hörbuchfassung von Alice Schwarzers Autobiografie „Lebenswerk”, bei denen bezweifelt werden darf, ob sie nicht auch ohne Hilfsgelder erschienen wären.“ Wieder wird interpretiert, wo es nichts zu interpretieren gibt. Denn das Buch von Nicolas Sarkozy ist in einem kleinen Regionalverlag erschienen, und der John Verlag musste das Hörbuchprojekt mit 500 Minuten Laufzeit auch vorfinanzieren, inkl. Lizenzkauf von Kiepenheuer & Witsch, wo das Buch erschienen ist.

Aber jetzt: „Das Hörbuch „Was tun. Leben mit dem Niedergang Europas“ des rechten Publizisten David Engels, gefördert mit 3465 Euro und erschienen im Renovamen Verlag.“ Und noch schlimmer, mit der Maximalsumme von 10.000 Euro gefördert „der Titel „Deutschland – verraten und verkauft“ von Wolfgang Bittner“, dem Jugendbuch-Bittner und neuerdings Russland-Versteher von Russia Today, ich berichtete.

Und dann ist da noch „Herman Wirth. Leben – Werk – Wirkung“, und der, sagt Rechtsextremismus-Experte Jan Raabe „war mit Sicherheit Antisemit und seine Lehren hatten eine Schnittmenge zur nationalsozialistischen Rassenideologie im Bereich dieses nordisch-arischen Menschenbildes.” Reicht das schon für eine folgenreiche Enthüllung?

Apropos Antisemitismus: Richard Wagner war unbestritten ein Antisemit. Dennoch wurden die Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth allein im Jahr 2021 mit 4,1 Millionen an Bundesmitteln unterstützt. Und Gesellschafter ist unter anderem das Ministerium von Claudia Roth, die zusätzlich Mittel aus Neustart Kultur zur Verfügung gestellt hat, wie Festspielleiterin Katharina Wagner in einem Interview bestätigt.

Was bleibt ist viel heiße Datenluft. Auch wenn diese Bücher hoffentlich so wenige Käufer wie möglich finden werden, sie durften gefördert werden. Genauso wie „Tantrischen Meditationen“ im Ananda Verlag, „Der Schlurz und andere grausame Geschichten“ im Böhland & Schremmer Verlag, „Der Fettnäpfchenführer Köln“ in der Conbook Medien GmbH, „Leicht-Motorräder der 1920er Jahre“ in der Johannes Kleine Vennekate GmbH und „Trotzki für Anfänger*innen“ im Manifest Verlag.

Auch wenn Autor:innnen, die Inhalte, die Verlage bedenklich sind. Aber sie alle sind durch die Kunstfreiheit gedeckt, auch wenn es weh tut. So lange, bis die Kunstfreiheit endet. Und das ist erst jetzt zu prüfen.

„Ohne Fakten keine echte Meinung, sondern nur Polemik, Hetze und Monolog.“ sagt Stefanie Stahl, Psychologin und Bestsellerautorin im Rahmen der Woche der Meinungsfreiheit. Das müssen wir aushalten können in einem demokratischen und pluralistischen Staat.