Kinderbuchratgeber – bitte nicht rechts abbiegen

Sich mit Ellen Kositzas und Dr. Caroline Sommerfelds Ratgeber Vorlesen zu beschäftigen, ist schon im Vorfeld eine vertrackte Sache. Lobe ich, mache ich mich zum Sprachrohr von bekennenden Rechten. Kritisiere ich, ist das nur der typische Reflex des links-versifften Mainstreams. Ignoriere ich, ist es irgendwie feige, denn das Buch gibt es ja. Und es interessiert mich auch auf eine spezielle Weise.

Rein sachlich benennend: Die Autorinnen sind Ellen Kositza, 7-fache Mutter und Frau von Antaios-Verleger und Vordenker der Neuen Rechten, Götz Kubitschek, und Dr. Caroline Sommerfeld, Germanistin, Publizistin und 3-fache Mutter, verheiratet mit dem 68er-Aktivisten und Germanisten Helmut Lethen, einem politisch Linken. Die Kinderzahl ist insofern wichtig, weil sie den Autorinnen als Rechtfertigung für das Schreiben dieses Kinder- und Jugendbuch-Ratgebers dient.

Worum handelt es sich bei Vorlesen? Um ein Sachbuch, das den Wert des Vorlesens und des Lesens mit vielen Beispielen hochhält. Denn „Lesen ist Bildung und darf nicht zweckorientiert verstanden werden. Lesen fördert die Entfaltung der Persönlichkeit, weil es einen ganzen Fächer an Lebensmöglichkeiten eröffnet.“ So weit, so gut. „Und ich denke wir haben ‘nen ganz guten Überblick, was Kitsch ist, was Kunst ist und was dem Kinde zuträglich und was ihm abträglich ist.“ (Zitate aus dem YouTube-Begleitvideo der beiden Autorinnen) Denn: „Kositza und Sommerfeld bringen es gemeinsam auf zehn Kinder und 40 Jahre Leseerfahrung!“ heißt es auf der Website PI-News zur Buchneuerscheinung. Dann kann ja nichts mehr schiefgehen.

Über die ersten 50 Seiten zieht sich das Vorwort, das erklärt, wie wichtig das Lesen ist und wie genau diese Auswahl der nachfolgenden Bücher und deren Annotationen zustande kommen. Vom Ansatz her erinnert das an Susanne Gaschkes Hexen, Hobbits und Piraten – Die besten Bücher für Kinder aus dem Jahr 2002. Der schon im Titel keinen Widerspruch duldende Kanon der damaligen ZEIT-Redakteurin wirkte wie ein Streifzug durch die Bibliothek eines aus der Zeit gefallenen englischen Internats, denn viele Titel schienen aus der eigenen, anglophilen Lesebiografie zu stammen. Kositza und Sommerfeld sind eher durch die Bibliothek eines erzkonservativen deutschen Internats gezogen und dazu in der stockfleckigen Auslage eines Antiquariats fündig geworden. Und haben all das aussortiert, was ihrer Einschätzung nach zweckorientiert verstanden werden kann oder soll. Und was in ihren Augen Ideologie transportiert. Also nicht ihre. Sondern andere, falsche, Kinder irreführende.

Als Ideologieträger erkannt und verbannt werden demzufolge pauschal der psychologische Roman, Problembücher, historisch einseitige Sachbücher, Bücher mit Sexszenen usw. Es sind „… subtil oder offen gewaltig manipulative Exemplare, mithin: verdrehte Bücher zum Köpfeverdrehen“ (S. 16) Als Lesestoff für Zwischendurch gerade noch gebilligt wird gefälliger Schund. Der ist ungefährlich, denn „Es zeigt sich daher, daß Kinder, die früh eine gewisse elterliche Geschmacksschulung durchlaufen, Kitsch, Schrott und Obszönitäten von selbst meiden.“ (S. 16) Auch wenn man diese Position nicht teilen muss, entspricht sie ja durchaus einer weit verbreiteten bewahrpädagogisch geprägten Haltung, Kinder nicht mit als zu schwierig erachteten Themen zu konfrontieren und damit zu überfordern.

Die Buchempfehlungen selbst sind in vier Kapitel unterteilt, es geht um Bilderbücher, erstes Lesen, Kinderbuch und Bücher für fast erwachsene Leser.

In Teil 1 stehen die Wurzelkinder neben Maurice Sendaks Wo die wilden Kerle wohnen und Donaldsons/Schefflers Superwurm. Aber eben auch Karl Ginzskys wegen seiner rassistischen Darstellungen umstrittener österreichischer Bilderbuchklassiker Hatschi Bratschis Luftballon in der unverfälschten Faksimile-Ausgabe.

Die Autorinnen ertappen sich dabei, manchmal auch Bücher mit „falschem“ Ansatz gut zu finden. Zum Beispiel Erlbruchs/Holzwarths Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat „Ist ein Buch über „Kacke“ nicht ein Spät-68er-Produkt … unkonservativ?“ (S. 96) Nein, genauso wenig wie Kuhls/Schmitz-Kuhls Alle Kinder. Ein ABC der Schadenfreude. Da werden niedere Instinkte angesprochen, und Kinder vertragen ja dann großzügigerweise doch „auch Spurenelemente von Ideologie, Schmalz oder kindungerechter Gewalt“ (S. 113) Dafür liegt bei Michael Endes Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer sprachideologisch festbetoniert ein Negerbaby im Paket, und nicht, wie in den neueren Ausgaben politsch korrekt, ein schwarzes Baby. Und bei Otfried Preußler ist es vor allem die Abgrenzung des Autors zu der von den 68ern geprägten neuen Kinderliteratur, die viel Raum einnimmt und ihn sympathisch macht.

Weiter geht’s zu den Büchern für Ältere. Da ist neben den Sagen und Märchen von Hermann Löns auch Platz für Mawils Graphic Novel Kinderland und selbstverständlich Harry Potter. Und die, die fast schon erwachsen sind, dürfen sogar ausnahmsweise Gudrun Pausewang lesen. Aber eben nur den ersten Teil der Rosinakwiesen-Trilogie, in der die lebensreformbegeisterten Eltern eine sumpfige Wiese urbar machen und der Vater zu einem glühenden Deutsch-Nationalisten wird. Wallhall und Germanische Sagen von Felix und Therese Dahn dürfen genauso wenig fehlen wie Karl Mays Winnetou. Klar dem rechten Umfeld zuzuordnen ist Karlheinz Weißmann und seine Deutsche Geschichte für junge Leser. Den 12 bedrückenden Jahren wird hier nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt als dem Kampf zwischen Kaiser und Papst – lobt Ellen Kositzas Mann in einer Rezension.

Und nun? Habe ich hier den ultimativen wie gefährlichen rechten Kinderbuchkanon vor mir in meinen zitternden Händen? Muss ich meine Sichtweise auf wirklich empfehlenswerte Kinder- und Jugendliteratur neu überdenken? Weder noch. Aufgrund seiner kruden Auswahl an alten und neueren Titeln, die Teils von Flohmärkten oder aus Bibliotheksauflösungen stammen – es sind eine Reihe von vergriffenen DDR-Klassikern dabei – ist das keine einfache Einkaufsliste, obwohl der Antaios Verlag da gerne hilft. Sondern verrät viel mehr über die Vorlieben der beiden Autorinnen und ihre literarische Geschmackschulung. Und ihre aber auch nie bestrittene einseitige Wahrnehmung.

Denn natürlich entspricht diese Titelauswahl nichts anderem als der eigenen Ideologie. Vermeintliche Wahrheit gegen die politische Volksverdummung, Gegenmeinung zum politisch linken Mainstream, traditionelle Werte und Ansichten, ein starker volkstümlicher Charakter durch viele Sagen, Märchen usw. ergeben eine durch die Auswahl in Vorlesen wabernde Meta-Ideologie, die bloß nicht so offenkundig erscheint wie die gegeißelten „Gutmenschen“-Botschaften in aktuellen Kinder- und Jugendbüchern oder die Auswahl der Titel auf der Liste der Besten 7, zu der es voller Abscheu heißt: „… transgender ist grundsätzlich dabei, Multikulturelles, Rechtsextremismus und psychisch kranke Eltern fast immer.“ (S. 17) Pfui Teufel!

Sowas gibt es in Vorlesen natürlich nicht. Und in der Welt da draußen auch nicht. Getreu dem Pippi Langstrumpf-Lied machen Ellen Kositza und Dr. Caroline Sommerfeld sich eben die Welt, wie sie ihnen gefällt. In die ich definitiv nicht rechts abbiegen will.