Kinderbuchpolitik extended

Ungarn schon wieder: Wir erinnern uns, als das LGBT-Kinderbuch Märchenland für alle im kleinen Verlag des ungarischen Lesbenverbandes Labrisz erschien und die aufgebrachte Regierungspartei „Homo-Propaganda“ schrie, getoppt von der Forderung von Ministerpräsident Victor Orban: „Lasst unsere Kinder in Ruhe!“

Statt zu einer Diskussion im Land führte dieser vermeintliche Skandal direkt zu politischem Durchgreifen. Kann man halt mal machen, wenn man wie Orban sein Land despotisch führt. Seit dem 8. Juli ist das mal eben auf den Weg gebrachte Gesetz zur Beschränkung der Information über Homo- und Transsexualität in Kraft. Es verbietet unter anderem, sich in der Werbung mit Homo- und Transsexuellen solidarisch zu erklären oder die Themen in Aufklärungsbüchern, in der Schule und überhaupt zu behandeln – de facto verboten also in allem, was sich an Kinder und Jugendliche richtet.

Apropos Werbung: In unserem deutschen Glashaus sollten wir ja nicht zu sehr mit Steinen jonglieren. Wir haben ja den § 219a StGB, der „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ unter Strafe stellt. Und Praxen verbietet, mehr zu sagen als dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Mehrmals musste schon vor Gericht geklärt werden, wie und was unter Werbung im Sinne des Gesetzes zu verstehen ist. Aber ich will nicht ablenken.

Quasi als Auftakt zur Gesetzeseinführung in Ungarn ging die Meldung durch die nicht-ungarische Presse, dass eine Buchhandlung ein Kinderbuch über eine Regenbogenfamilie bzw. zwei Mütter nicht mit einem Warnhinweis für Eltern versehen hatte und deshalb zu einer Strafzahlung von 700 Euro verdonnert wurde. Angezeigt wurde sie durch das regionale Regierungsamt. Das hatte festgestellt, dass das Buch eben nicht „traditionelle Geschlechterrollen“ beinhalte. Das gehöre mit einem Warnhinweis sichtbar gemacht. Hat die Buchhandlung aber nicht. Deshalb verstoße sie gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, sagt das Regierungsamt. Das heißt, ein Buch, das nicht den Werten der Verfassung entspreche, ist unlauter und zu kennzeichnen. Und nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes eh verboten. Oder nur noch unter dem Ladentisch erhältlich. Aha.

Kleiner Exkurs. Es gibt im Konstrukt der Europäischen Union Grundwerte. Ja, gibt es. Die wurden 2009 im Vertrag von Lissabon im Artikel 2 festgelegt. Als da sind „Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskiminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität, und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“ Gefühlt gehandhabt eher so wie eine grobe Richtlinie, die man mal gehört haben sollte, aber zu nichts verpflichtet.

Aber im Falle der Gesetzgebung in Ungarn heißt das, dass die Rechte der Personen, die einer Minderheit angehören und ein Kinderbuch darüber schreiben, nicht mehr existieren. Ein Buch wie Der Katze ist es ganz egal von Franz Orghandl oder Nicht so das Bilderbuchmädchen von Agnes Ofner oder Papierklavier von Elisabeth Steinkellner wird nicht in Ungarn erscheinen dürfen. Keine Lizenzverkäufe für Verlage und damit Einnahmen für die Autor:innen. Wie man das nennt? Zensur. Nicht anders. Da kann Victor Orban noch so lange auf ein paar flatternde Regenbogenfahnen (die definitiv nicht er aufgehängt hat) in Budapest verweisen und sich als toleranter Landesvater geben.

Der zweite Punkt in den EU-Grundwerten heißt unmissverständlich Freiheit. Wenn sie jemand dermaßen einschränkt und mit Füßen tritt, dann sollten wir sie uns nehmen. Und das Geld umlenken. Die 5,1 Milliarden (2019), die Ungarn als Nettoempfänger aus der EU erhält, wären in Leseförderungsprojekte in den übrigen EU-Ländern gut und sinnvoll angelegt. Denk mal drüber nach, EU. Du nicht Orban. Da ist Hopfen und Malz verloren.