Ausgewildert

Verrückte Zeiten waren das, als alle Jungs und auch ein paar Mädchen in schwarz-orangener Bettwäsche schliefen, mit schwarz-orangenen Fußbällen herumkickten und der Schlachtruf „Alles ist gut, solange du wild bist!“ über Schulhöfe und Bolzplätze schallte. Mit „Leon der Slalomdribbler“ begann 2002 beim Baumhaus Verlag der Riesenerfolg der „wilden Fußballkerle“, geschrieben von Joachim Masannek und illustriert von Jan Birck, mittlerweile in über 20 Auflagen erschienen. 2003 folgte der erste Film, mit Joachim Masannek als Regisseur und Drehbuchautor. Millionen Leser:innen hier, Millionen Zuschauer dort, ein echter Megaseller auf allen Kanälen und mit jeder Menge Merchandising.

Irgendwann ist der Kredit aufgebraucht, nicht nur persönlich bei Hauptdarsteller Jimi Blue Ochsenknecht, dem Film-Leon in den ersten sechs Verfilmungen. Ganz ohne Frage: Für mindestens eine Kindergeneration waren die Wilden Kerle prägend. Auch die Art, wie über Fußball erzählt wurde, war bis dato ungehört und hat Tore geöffnet, auch wenn das manche Besserleser kleinreden wollen. Aber reicht das aus, um damit ein verkaufsstabiler Kinderbuch-Klassiker, eine Ikone wie Ronaldo im echten Fußball, zu werden? Offenbar nicht.

Baumhaus hat die 13 Bände ab 2003 sehr zeitig als Taschenbuchlizenzen an dtv junior gegeben, wo mittlerweile nur noch Band 4 lieferbar ist. Die Rechte gingen zurück an den Baumhaus Verlag, der sie 2020 an den Autor zurückgegeben. Nach einem zwischenzeitlichen Zivilprozess vor dem Landgericht München, bei dem Illustrator Jan Birck Schadenersatz von Autor Joachim Masannek für die Weiterverwendung der von ihm entwickelten Charaktere in den Filmen forderte, ist er aber seit einigen Jahren wieder mit im Team. Die Rechte wanderten weiter zum 360 Grad-Verlag, wo ab 2020 bis 2022 die Originalausgaben bis Band 8 von Jan Birck farbig koloriert und neu angeboten wurden. Dazu kamen zwei nigelnagelneue Bände, der erste zum 20jährigen Wilde-Kerle-Jubiläum 2022, eigentlich.

Aber. Die berühmte Weisheit der Dakota-Indianer lautet bekanntlich: „Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab.“  Seit Jahren schon arbeiten Autor und Verlage intensiv daran, dass Pferd wieder in Trab zu bringen. Vergeblich. Der Autor adaptierte seine Art des Erzählens auf die Kartbahn in die Motorsportwelt und auf Piraten, um schlussendlich doch wieder bei den Kickern zu landen: Konsequent weitergedacht mit der Idee, seine Helden von damals einfach 20 Jahre altern zu lassen und deren aktuelle Geschichten „Nur für Erwachsene“ weiter zu erzählen und zu vermarkten. Weil der Wilde-Kerle-Tonfall aber gleichzeitig Massaneks einzige Art des Erzählens ist, funktioniert das in anderen Settings und bei erwachsenen Beziehungsdramen nicht wirklich. Im Massanek-Sound Wilde-Kerle-Nostalgie wecken und so für ehemalige Fans attraktiv zu werden, ist mittlerweile eine Randsportart. Selbst Events wie die große Reunion-Party der Wilden Kerle-Community im Mai 2025 in Berlin mit immerhin 4.500 Besucher:innen hatte keine nachhaltige Wirkung auf den Buchverkauf. Denn wer Hardcore-Fan ist, der ist ja längst versorgt.

Jetzt also folgt im Buchmarkt die Weisheitsfortsetzung: „Wenn Du merkst, dass Du ein totes Pferd reitest, sorge für einen bequemen Sattel – es könnte ein langer Ritt werden!“. Der damalige Baumhaus-Verleger Bodo Horn-Rumold gründete mit Autor Joachim Massanek und Illustrator Jan Birck die „Die Wilden Kerle Verlag & Medien GmbH“, wo nun alle Bücher erscheinen sollen, im kommenden Jahr auch neu aufgelegte Hörbücher. Die beiden für das kommende Jahr angekündigten ‚deutschen Erstausgaben‘ – als würden sie erstmals ins Deutsche übersetzt? – „Vanessa 2 – ohne Mädchen keine Kerle“ und „Juli und der geheime Joker“ sind zwar schon 2021 und 2023 bei 360 Grad erschienen, in der Deutschen Nationalbibliothek jedenfalls sind sie gelistet, aber womöglich bislang im Buchhandel untergegangen.

Ein mutiges Unterfangen also, aber die Hoffnung stirbt bekanntermaßen zuletzt, noch nach dem Pferd. Die diesjährigen Verkaufszahlen der lieferbaren Titel sind jedoch weit weg von Champions League und selbst für einen kleinen Verlag überschaubar. Also halten es die Wilden Kerle wie der überraschende schwedische Fußballmeister MjällbyAIF: Der unscheinbare Dorfverein wäre vor Jahren fast in die schwedische vierte Liga abgestiegen, jetzt haben sie durch Teamwork und dank akribischer wissenschaftlicher Unterstützung den Titel perfekt gemacht. Mindestens ein solches Fußballmärchen bräuchte es, um Leon und Co. wieder erfolgreich auf den Marktplatz zu bringen.