Vorschaukritik 2 – Oetinger und Ravensburger

Bild Vorschau kleinZweimal das volle Programm. Von beißfesten Pappbüchern für Krabbelkinder bis zur CD, vom Taschenbuch mit Lehrerbegleitheft bis zum Weltbestseller, alles ist drin in den Vorschaupaketen von Oetinger (256 Seiten) und Ravensburger (330 Seiten). Dabei entwickeln sich beide Verlage seit Jahren schon auseinander.

Die goldenen Zeiten des blauen Dreiecks sind längst Vergangenheit. Schier unglaublich, dass sämtliche Hanser-Kinderbuchverleger mal ihre Karriere bei Ravensburger begonnen haben. Offenbar scheint jeder von dort ein Stück literarische Identität mitgenommen zu haben, und Ravensburger klammert sich seither an die übrig gebliebenen Reste. Zum Beispiel an David Almond mit seinem neuen Titel Der Junge, der mit den Piranhas schwamm und Stefanie Harjes und die neue, von ihr illustrierte Anthologie. Gäbe es Tiptoi nicht, die unkaputtbaren Pappbilderbücher wie Flo geht aufs Klo mit echten Spülgeräuschen nicht und die in immer neuen Preisaktion angebotenen Schullektüren nicht, Ravensburger hätte wenig Unverzichtbares anzubieten. Denn wer wartet schon auf Der große Lese-Kick zur WM in Kooperation mit BILD! samt 61 Millionen Kontakten durch die große Mediakampagne und die vier Fußballgeschichten von THiLO. Die im attraktiven 5er-Schuber, ergänzt durch einen Band mit Fußballwitzen, zum Vorteilspreis zu haben sind.

Ein Rückblick auf die klangvolle Geschichte sind die unter dem Label „Ravensburger Kinderklassiker“ neu aufgelegten Bilderbücher von Judith Kerr, Margret Rettich oder Ali Mitgutsch. Unweigerlich fragt man sich aber, ob die alten Titel so zeitlos oder die neuen Titel wie Das Unterwasser-ABC von Annika Oyrabo und Mirko Siemssen oder Familie Pullunder sagt Gute Nacht von Silke Brix und Boris Pfeiffer so altmodisch daherkommen, dass sie sich von Farbigkeit und Strich her kaum voneinander unterscheiden. Ob der neue Programmleiter das auffrischt? Der doch vom Buchgeschäft von National Geographic und damit klar vom Sachbuch kommt? Ein interessantes Experiment.

Ganz anders Oetinger. Als wäre Duvenstadt das Silicon Valley des deutschen Kinderbuchs spielt der Familienkonzern in jeder Liga mit. Ob Pippi-Betten oder Olchi-Furzkissen, ob Fotobücher oder Apps, ob digitale Autorenplattformen oder Filmproduktion: Oetinger ist immer dabei. Durchs ganze Programm zieht sich aber ein klares Kalkül: Es muss sich rechnen, aber schnell. Deshalb volle Konzentration auf Fortsetzungen erfolgreicher Serien, Reduktion der Erstlesebücher auf bekannte Figuren wie die Olchis, Kirsten Boies Möwenweg-Kinder oder Episoden von Astrid Lindgren. Insbesondere die Olchis haben sich zur Conny von Oetinger gemausert und begleiten den Leser in den unterschiedlichsten Buchaggregatzuständen.

Diese Tendenz zeigt sich schon beim Aufschlagen der Vorschau. Die ersten drei Kinderbuch-Titel sind Fortsetzungen, der fünfte startet eine Reihe, der sechste setzt fort. Im Bilderbuch nicht anders. Pettersson und Findus zum Kinofilm, Paulchen, Lotta, Olivia, Belle & Bio, alles wohlbekannt.

Das Leseexemplar der jetzt 18jährigen Autorin Anna Seidl Es wird keine Helden geben über die Folgen eines Amoklaufes tut sich gegen diese Verkaufsargumente schwer. So löblich es ist, eine deutschsprachige Debütantin derart zu unterstützen, so wenig überzeugend ist der Titel selbst, der die angekündigte große Sprachgewalt bei weitem nicht einzulösen vermag. Und auf Augenhöhe ist der Titel allein durch das Alter der Autorin noch lange nicht.