Ein Loch, zwei Lochis und ein Apfel

Die Stiftung Lesen tut viele gute Dinge. Sie verschenkt jedes Jahr eine Geschichte zum „Welttag des Buches“, unterstützt ALDI SÜD beim Verkauf von Vorlesegeschichten und lädt bundesweit AfD-Abgeordnete zum Vorlesetag ein. Hoppla, letzteres war ja ein Versehen. Aber damit die Stiftung Lesen überhaupt so viele gute Dinge tun kann, benötigt sie Geld. Und hat dazu neben finanzkräftigen Stiftern auch selbst unglaublich gute Ideen wie diese: Wenn vor Weihnachten der Cent locker sitzt und schnell mal in den Klingelbeuteln bedürftiger Straßenmusiker und verhungert dreinblickender Zirkuslamas landet, warum dann nicht auch bei der Stiftung Lesen? Gesagt, getan.

Wer jetzt 99 Cent stiften möchte, bekommt auch etwas dafür: Einen Song fürs Lesen, für Groß und Klein. Denn zusammengetan hat sich, was nicht zusammengehört: Die Poesiemusiker Richard Schönherz und Angelica Fleer, bekannt durch ihr Rilke-Projekt, mit den Vorzeigedichtern der YouTube-Generation, die Lochis. Wahnsinn! Vertont haben sie in bewährter Manier das Kinder-Herbstgedicht Vom schlafenden Apfel von Robert Reinick.

Warum die Lochis wird spätestens dann klar, wenn man sich ihr Statement als Lesebotschafter der Stiftung Lesen vergegenwärtigt: „Lesen fördert die Kreativität und den Wortschatz: Wenn man zum Beispiel mal geile Songs schreiben will, dann sollte man viel lesen, denn der Wortschatz wird erweitert. (…)“

Es mit der rhetorischen Frage: Wer kennt überhaupt einen geilen Song der Lochis? abzutun wäre zu einfach. Und ist natürlich unfair. Denn der erweiterte Wortschatz der Lochis blinzelt ja nahezu durch jeden Songtext. Zum Beispiel durch diesen hier, der sehr berührend dieses der Aktion zugrundeliegende Stiftungs-Gefühl in, äh, Reime packt:

Ich bin blank

Hab kein Geld mehr auf der Bank

Brauche Cash in meiner Hand

Ohne Kohle kann ich mir nichts mehr holen


Ich bin blank

Na na na na na na

Na na na na na na

Ohne Kohle kann ich mir nichts mehr holen (aus: Ich bin blank)

oder jene gefühlvolle Ode an sich selbst dieser berühmtesten Zwillinge Deutschlands:

Und die Leute, die meinen wir machen nichts mehr selbst,
würden sofort an Burn-out leiden, denn hier ist nichts gestellt.

Jeden Tag nach der Schule: Texten oder Drehen.
Oder cutten, nie relaxen, zu ’nem Meeting gehen. (aus: Klartext)

Oder eben ein Kindergedicht vertonen für die Stiftung Lesen. Besser, als wenn die Lochis mit ihrem Wortschatz selbst gedichtet hätten.

Ach ja, wie wichtig ist den beteiligten Künstlern eigentlich diese Aktion? Mmh, nun ja. Stattdessen fragen die Lochis lieber ihre Facebook-Community: Wie werden die Konzerte in nem Land, in dem eine ganz andere Sprache gesprochen wird? – wobei sie jetzt nicht Turkmenistan oder Papua-Neuguinea meinen. Sondern die USA. Hoffentlich kommen sie da mit Zeichensprache durch. Oder posten ein neues Video von „Lochi vs. Lochi“ und lassen sich zusammen in einen Container einsperren. Gewonnen hat, wer zuerst aufgibt und den Container verlässt. Auf die Idee, sich gegenseitig ihre Songtexte vorzulesen, sind sie dabei leider nicht gekommen. Schade.

Und Schönherz und Fleer? Posten brav auf Facebook und freuen sich über die Zusammenarbeit, zu der sie wesentlich mehr beigetragen haben als nur irgendein Gedicht einzusprechen.

Na dann, viel Erfolg!