Die Kinderbuch-Verquerdenker

Eigentlich wollte ich nichts weiter sagen zum mit großem Tamtam angekündigten Deutschen Kinderbuchpreis. Andere hatten das schon mit kritischem Unterton getan, Ute Wegmann im Deutschlandfunk zum Beispiel und Ulrich Störiko-Blume im Buchmarkt. Und darauf verwiesen, dass das nicht so recht zusammenpasst. Der große Förderungsgedanke mit der ausgelobten Preissumme von 100.000 Euro und die undurchschaubare Durchführung sind so, als würde ein Führerscheinanfänger in einem Formel 1-Boliden zum Einkaufen fahren. Doch es wird aufs Tempo gedrückt, denn der Preisverleihungstermin am 2.10.2021 in Berlin steht felsenfest.

Am 29. April ist nun die Website zum Deutschen Kinderbuchpreis für Vorlesebücher, Selbstlesebücher und Bücher, die das kombinieren, online gegangen. Schließlich fehlen ja noch alle drei Beteiligtengruppen: Die Kinderjuror:innen, die Erwachsenenjury und die 10 ausgewählten Bücher der Shortlist. Aber auf der Seite kann man sich jetzt bewerben, als Kind oder lesebegeisterter Erwachsene.

Nun hätte zumindest mit klaren Rahmenbedingungen und einem durchdachten Ablauf ein Stück Seriosität zurückgewonnen werden können. Aber in den Details bis hin zum auszufüllenden Bewerbungsbogen stecken so viele Fehler und Unklarheiten, dass es einem die Nackenhaare aufstellt.

“Werde ein Mitglied der Erwachsenen-Jury“ – aber na klar, du! Und was muss ich dafür mitbringen? „Lesen Sie“ ach so, ich werde doch nicht geduzt, „gerne Kinderbücher vor? Haben Sie Lust, diesen als Teil einer Jury zu bewerten?“ Diesen was soll ich bewerten? Und warum nur Vorlesen? Die zweite Kategorie heißt doch dezidiert „Selbstlesebücher“? Ich bin verwirrt. „In der Zeit vom 01.07.2021 bis 31.07.2021 müssen Sie alle teilnehmenden Kinderbücher lesen und anhand eines Punktekatalogs bewerten.“ Alle teilnehmenden Kinderbücher also, na, dann nehmt mal teil, ihr Bücher.

Ich verrate weiterhin noch, welchen Kindern ich regelmäßig vorlese, nenne mein liebstes Kinderbuch, fülle „den Bewerbungsbogen“ zur Gänze aus und schicke „diese“ Diese was genau? Diese Bogen? Diese Bewerbung? an die Deutsche Kinderbuchpreis gGmbH nach Berlin. Per Post oder als Scan per E-Mail. Ausfüllbare Formularvorlage? Ist keine Raketentechnologie und bestimmt schon in Arbeit. Die Frage „Warum sollten Sie Jury-Mitglied werden in einem Satz“ irritiert, weil man gerne in einer Jury Mitglied werden möchte und nicht in einem Satz. Ein Komma hätte diesem Satz gut getan. Ach egal, für eine feierliche Veranstaltung in Berlin schaut man auch darüber hinweg.

Und die sich bewerbenden Kinder? Sind zwischen 6 und 10 Jahre alt, wobei nicht ganz klar ist, ob die 6-jährigen nicht eine Vorleser:in bräuchten, um die Bücher in der Kategoire „Vorlesebücher“ auch adäquat bewerten zu können, insbesondere, weil es ja um Bücher für 4- bis 8-jährige geht. Und für zukünftige Kinderjurys gilt: Alle Leseenergie in den März stecken. Denn die Fangfrage in der Bewerbung lautet: „So viele Bücher habe ich im März gelesen (selber gelesen und/oder vorgelesen bekommen)“.

Und welche Kinderbücher dürfen teilnehmen? Ganz klar. „Deutschsprachige Originalwerke lebender Autorinnen oder Autoren oder ins Deutsche übersetzte fremdsprachige Werke lebender Autorinnen/Autoren“ unter 100 Seiten, zwischen 1.6.2020 und 30.5.2021 (au weia, wenn ein Buch da am 31.5.2021 erscheint, sehe ich für das nächste Preisjahr schwarz) gedruckt und mit ISBN erschienen. Davon 10 Exemplare sofort und später dann, falls für die Shortlist nominiert, nochmals 32 Exemplare. Und was auf dem Weg zu den 100.000 Euro noch zu tun ist? „Der Autor/die Autorin [akzeptiert] die Teilnahmebedingungen und erklärt sich bereit, am 02.10.2021 nach Berlin zu reisen und im Rahmen der Preisverleihung aus seinem Buch vorzulesen.“ Fragt sich nur, wie die Autor:in aus Schweden von diesem Preis erfährt und ob die amerikanische Autor:in im Juni schon versprechen kann, das sie am 2.10. nach Berlin reisen wird.

Und so bekommt die eine Interview-Aussage von Wolfram Simon-Schröter, Ehemann von Zeitfracht-Eigentümerin und Preisstifterin Jasmin Schröter, eine tiefere Bedeutung, wenn er da im Börsenblatt vom 19.4. zugibt: „Wir rufen diesen Preis jetzt ins Leben, ohne vorher groß darüber gesprochen oder jemanden gefragt zu haben.“ Nicht mal eine Korrektor:in.