A Bug’s Life

käferStellen wir uns mal Folgendes vor: Eine junge Frau arbeitet nach ihrem Germanistikstudium mit dem Schwerpunkt Weimarer Klassik seit Jahren als verantwortliche Online-Redakteurin beim Staatstheater in Darmstadt und macht das auch sehr gut. Darüber berichtet sie gerne auf Konferenzen und in Workshops. Zudem hat sie ein etwas außergewöhnliches Hobby, sie liebt und sammelt Muscheln. Und sie schreibt so nebenbei. Einen Blog über Muscheln. Und ein Kinderbuch über ein Mädchen und eine Muschel mit Namen Bunti. Die mit der Muschel zusammen ihre verschwundene Mutter sucht. Ausgelegt auf drei Bände.

Würde eine Agentin oder ein Agent dieses Manuskript auf dem deutschen Kinderbuchmarkt anbieten, es wäre sicherlich kein Selbstläufer und harte Arbeit, dafür einen Abnehmer zu finden.

In England ist das anders. Da gilt Barry Cunningham, der Verleger von Chicken House, als eine Art Midas, seit er als damaliger Kinderbuchchef von Bloomsbury J. K. Rowling unter Vertrag nahm. Und der hat ein ähnliches Buchprojekt angenommen und freut sich mit der Agentin, damit einen vermeintlichen Welterfolg gelandet zu haben. Ein erstes Anzeichen: Das englische Buchhandelsmagazin Bookseller erschien vor der Kinderbuchmesse in Bologna mit einem Kinderbuchspezial – und auf dem Titel: Das Cover von M.G. Leonards Kinderbuch „Beetle Boy“. Ein Kinderbuchdebüt einer jungen Autorin, von Beruf Senior Digital Media Producer am National Theater. Hat englische Literatur studiert und einen Abschluss in Shakespeare Studies. Und eine Schwäche für Käfer. Ach ja, nur so nebenbei: Das Buch erscheint am 3. März 2016.

Worum es geht? Um eine nebulöse Story über einen Jungen mit Namen Darkus, dessen Vater verschwindet und der nun mit Hilfe eines Riesenkäfers namens Dexter das Geheimnis dahinter aufklären soll. Dazu gibt es nette Fotos einer mit bunten Fingernägeln und einem Hirschkäfer auf den Händen posierenden Autorin. Das reicht, um weltweit Lizenzen zu verkaufen. Unter anderem nach Deutschland, zu Chicken House.

Was einem das sagen soll? So einiges. Der Trend in heimischen Kinder-und Jugendbuchverlagen ist noch immer ungebrochen, lieber fertige Manuskripte samt vager Erfolgsversprechen (fast ein Jahr im voraus!) einzukaufen anstatt mit heimischen Autorinnen und Autoren zu arbeiten. Die Selbstvermarktung einer Autorin oder eines Autors wird immer wichtiger. Da darf es natürlich auch eine hinreißende Kombination aus erzählerischem Sujet und persönlichem Enthusiasmus geben. Schadet auf keinen Fall.

Und in welchem Land sonst sollte eine Geschichte mit Käfern auf so fruchtbaren Boden fallen? Denn zwischen der Hochkultur von Franz Kafkas „Die Verwandlung“ und dem millionenfach gebauten VW Käfers ist sicher Platz für eine „Krieg der Käfer“-Trilogie. Wir erinnern uns: Die letzten Käfer wurden ja auch nicht mehr hier, sondern in Mexiko gebaut.