Rechts, drei, vier …

Gesellschaftliche Phänomene führen nahezu reflexartig zu Jugendbüchern. Aktuelles Beispiel: Der triumphale Einzug in Landesparlamente und die 12,6 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl für die AfD, die damit drittstärkste politische Kraft in Deutschland ist, ergänzt mit dem Flüchtlings- und Integrationsthema. Vier unterschiedliche Titel sind im Herbst 2017 erschienen, die sich mehr oder weniger direkt damit auseinandersetzen, von Reiner Engelmann, Timo F. , Christian Linker und Martin Schäuble, alle natürlich wichtig und notwendig und wohlwollend begrüßt.

Reiner Engelmann beschreibt in seinem Buch die Hintergründe eines versuchten Brandanschlages auf eine Flüchtlingsunterkunft, multiperspektivisch und chronologisch. Die Geschichte einzelner Flüchtlinge, die bierselige Feier der späteren Täter, die Protokolle und Aussagen aus der Gerichtsverhandlung addieren sich zu einem Text. „Sein sachlicher Ton, in dem er das menschenverachtende Tun von drei jungen Leuten beschreibt, macht das Geschehen noch erschreckender.“ schreibt Ralf Husemann in der SZ vom 2.1.2018.

Timo F. war Neonazi und ist nach einer Karriere bei der Jugendorganisation der NPD ausgestiegen. „Beim Lesen von Timo F.s autobiografischem Roman wird man den Kloß im Hals nicht los. Das mulmige Gefühl begleitet die LeserInnen bis zur letzten Seite …“ heißt es bei Adienne Karsten auf der Rezensionsseite kinderundjugendmedien.de der Universität Bremen.

Christian Linker mischt Polit-Thriller-Elemente in seine Geschichte. Robin befindet sich in einer Zwickmühle: Er hat auf einem USB-Stick den Beweis, dass der Kandidat der Deutschen Alternativen Partei hinter dem Mord an einem Informanten steckt. Gibt er den Stick zurück oder soll er ihn dem Mädchen Henry geben, die mit einem Journalisten zusammen das ganze rechte Netzwerk auffliegen lassen will? „Christian Linker macht das in Der Schuss besser.“ wertet Martin Machowecz in der ZEIT vom 6.9.2017, im Vergleich zu Martin Schäuble.

Der beschreibt ein Deutschland, in dem die Nationale Alternative regiert und all das umgesetzt hat, was in den rechten Parteiprogrammen steht. Der junge Soldat Anton bekommt einen Geheimauftrag: Er soll sich als Flüchtling ins eigene Land schleichen und einen Bombenanschlag im Flüchtlingslager fingieren. „Es ist ein kluges Buch, manchmal zu klug womöglich, …“ lobt Fritz Göttler in der SZ vom 15.09.2017.

Aber wie nah dran an der rechten Gesinnungswelt, der Filterblase der Nazi-Sympathisanten sind diese 2017 erschienenen Bücher im Vergleich zu denen Anfang der 1990er Jahre? 1991 fand der Brandanschlag von Hoyerswerda statt. 1992 zogen die Republikaner mit 10,9 Prozent in den Landtag von Baden-Württemberg ein. Es gab die Gefahr von rechts und die warnenden Bücher. Die mit verblüffend ähnlichen Stilmitteln und Erzählanlässen hantierten. Und die die Prototypen der rechten Gewalttäter lieferten, die noch heute Bestand haben, jedenfalls in der aktuellen Jugendliteratur.

Endland von Martin Schäuble ähnelt dem Roman Der Schlund von Gudrun Pausewang von 1993. Während bei Gudrun Pausewang die DVB, die Deutsche Volksbewegung, mit ihrem starken Führer Schlott die Macht ergreift und Schritt für Schritt den Staat umbaut, regiert die Nationale Alternative schon. Die politischen Ziele sind ähnlich: Make Germany great again! und Germany first! Selbst die Kombination schwarz und weiß, hier der Soldat Anton und das Flüchtlingsmädchen Fana, dort die Familie Lorbach und das äthiopische Adoptivkind Jirgalem, findet sich in beiden Büchern. Und doch ist Endland, trotz aller holzschnittartigen Figurenzeichnung eine clevere Übertragung ins Hier und Jetzt. In der Handlung zeigt sich die Konsequenz der Politik – siehe der reale Fall des Soldaten Franco A. – und die wachsenden Zweifel Antons daran. Nur selten wird referiert, anders als bei Christian Linkers Der Schuss. Seitenweise werden da aktuelle politische Standpunkte aus AfD-wie aus Antifa-Perspektive erörtert. Aber sie passen leider nur wenig auf die handelnden Figuren. Nikolaj und Schädel sind gewaltbereite Handlanger mit schwieriger Kindheit, während Fred der clevere wie rücksichtslose Karrierist ist, der beide ausnutzt. Ein Figurensetting wie aus einem ZDF-Montagskrimi.

Der Neonazi von Timo F. ist in Schwarzer, Wolf, Skin von Marie Hagemann 1993 schon vorweggenommen, ja, deutlich zugespitzter dargestellt. Timo F. erzählt autobiografisch, Wolf Schwarzer ist Fiktion. Aber für den Leser macht es keinen Unterschied, wenn er nachvollziehen will, wie ein junger Mann in der Gruppe Bestätigung findet und zum Skinhead wird oder zum sich mit Linken prügelnden Parteiaktivisten.

Bleibt noch Anschlag von rechts: Nach einer wahren Begebenheit von Reiner Engelmann, dem Erwachsene reden. Marco hat was getan. von Kirsten Boie aus dem Jahr 1994 gegenübersteht. In beiden Büchern wird mit dem Mittel des multiperspektivischen Erzählers neben der reinen Handlungs- auch noch eine subjektive Wahrnehmungsebene mit einbezogen, beide Male ausgehend von einem Anschlag auf ein Asylbewerberheim. Wer sieht wen wie? Und wie sehen sich die Figuren selbst? Reiner Engelmann bleibt da arg an der Oberfläche, während Kirsten Boie wie bei einem Puzzlespiel vorgeht und Stück um Stück im Auge des Lesers sichtbar werden lässt.

Die prügelnde Glatze als Prototyp des Rechtsextremen, die gerne mal Sieg Heil! brüllt und Störkraft hört, sie hat sich seit den 1990er Jahren nicht weiterentwickelt. Jedenfalls nicht in der Jugendliteratur. Es gibt zwar laut Verfassungsschutz mehr gewaltbereite Rechtsextremisten, aber die Zahl reicht nicht aus, um den politischen Schwenk nach rechts zu erklären. Daran ändern auch die vier Neuerscheinungen nichts. Wer die gesellschaftliche Realität mit einer AfD als Zerrbild einer konservativen Partei abbilden will, findet viel Raum dafür vor.